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Mittwoch, 10. April 2013

Junkies auf dem Trip

Was tut ein Handarbeitssüchtling, wenn er ohnehin kaum Zeit und die vergangenen Wochen damit verbracht hat, stundenlang Handarbeitshefte und -materialien zu sortieren? Richtig, er wirft sich ins Auto und fährt mit anderen Leidensgenossen nach Schönsee zum Klöppelkongress, um sich Nachschub und Anregungen zu holen und nimmt am besten noch einen Autoanhänger mit, um die oft sehr materiellen Anregungen, auch sicher und natürlich entsprechend zahlreich - da engros und direkt mit Kongressermäßigung auch billiger - nach Hause zu transportieren. So geschehen an diesem Samstag, ich hatte von den letzten, ziemlich schlafarmen Wochen noch Augen wie ein tibetanischer Faltenhund, aber die Sucht trieb mich zu arbeitstagsüblichen Zeiten aus den Federn und aus dem gemütlichen Heim, um meine ebenso müden Mitstreiter einzusammeln und in die Oberpfalz in das Örtchen Schönsee zu fahren. Früher gab es dort und in umliegenden Orten eine richtiggehende Klöppelindustrie und eine Klöppelschule in Tiefenbach. Auch heute noch wird die Tradition dieser schönen Handarbeit in der Region liebevoll gepflegt. Grund genug, dort einmal den Klöppelkongress abzuhalten.
Wie gesagt, Schönsee liegt in der Oberpfalz, und ich fahre gerne auf einer bestimmten Strecke dorthin, zwar ein bisschen länger, aber landschaftlich schön. Dieses Mal hatten wir jedoch ein etwas naseweises Navi dabei, das uns beharrlich zum Linksabbiegen aufforderte. Nun, wir haben es riskiert und fanden uns nach diversen Manövern auf einem Feldweg zwischen Acker und Wald wieder. 




Zum Glück arbeitete dort ein Mann im Windbruch, der uns den Weg aus der Wildnis weisen konnte, auf dem wir uns dann wieder – über Eisplatten schlitternd und zwischen metertiefen Spurrillen balancierend – auf zunächst ungeteerte, dann geteerte reguläre Straßen zurückarbeiten konnten.



In Schönsee geht es normalerweise, sagen wir mal, hm sehr geruhsam zu. Aber am Samstag war der Ort nicht wiederzuerkennen. Lauter Klöppelverrückte aus buchstäblich aller Herren Länder füllten den Ort. In allen Schaufenstern prangten die prächtigsten Klöppelspitzen. Ein Brautkleid ganz aus Spitze ...



... und ein bisserl was Sündiges für darunter, nicht zum Tragen, nur zum Ausziehen.



Aber natürlich wollten alle – und wir auch – zuerst zu den Händlern, die in einer Schule ihre Stände aufgeschlagen hatten. Und wie man sieht, sind "alle" ganz schön viele, die von dem reichen Angebot angelockt wurden.



Aber was es da auch alles zu sehen und zu kaufen gab! Na ja, entweder hatte ich es schon oder ich durfte es nicht mehr brauchen. Manchmal höre sogar ich auf das mäuseleise Quieken der Vernunft, wenigstens fast, wenn sie mich schon mal heimsucht. Aber diese bunten Garne …




… und die alten, zarten, feinen Spitzen – das rechts oben ist eine ganz normale Stecknadel:



Ihr müsst euch mal genau ansehen, wie unglaublich dünn die einzelnen Garnfäden sind. Dagegen sehen meine Arbeiten aus, wie mit Kälberstricken geklöppelt.
Man hätte sich auch einen Klöppelbrief für eine nachdenkliche Klöpplerin kaufen können. 



Warum sie aber den einen Klöppel an ihren Kopf hält, als wolle sie ein Denkarium benutzen, und warum sie das ausgerechnet in Großer Abendrobe tun muss, entzieht sich meiner Erkenntnis.Nach ausgiebigem Hin- und Hergelaufe und -geschaue und einem gemütlichen Päuschen in einem Café, in dem wir für Kaffee und Kuchen pro Person nur 2,90 Euronen berappen mussten, winkten wir dem noch fast völlig vereisten See einen Abschiedsgruß zu ...



... und machten einen Abstecher nach Oberviechtach ins Dr. Eisenbarth-Museum, wo es viel Interessantes zum Namensgeber und zur Goldgewinnung in der Gegend zu sehen gab, neben anderen Sächelchen z.B. diesen Dünnschliff. Wenn ich mich recht erinnere, ist es Olivin.



Dr. Eisenbarths Pate war ein Brauer, und zum 350. Geburtstag von Doktor und Brauerei wurde dieses Bierchen gebraut. Davon haben wir ein paar Flaschen mitgenommen, vom  Elixier aber nicht, da viel zu gesund  ...



Es gab in diesem netten Museum nochmals schöne Spitzen zu bestaunen, aber auch verspielten Nippes, wie Schneemänner mit Klöppelmützen:



Dieser Weihnachtsstern hing schief, war schwer zu fotografieren, aber man kann eines meiner Lieblingstiere erkennen, perfekt geklöppelt, ein Kamel. Das ganze Krippenbild wirkt auch von den Farben und der Aufteilung her sehr harmonisch.


Ein modernes Tischband aus einem glänzenden Garn: 


Manche hübsche Spitzen waren aber auch grausig rücksichtslos an den Stoff gezackelt. Brrr. Warum gebe ich mir so viel Mühe einen schönen Rand zu klöppeln, wenn er dann vom Zickzackstich zermanscht wird?



Als sie uns um viertel nach Sechs endlich aus dem Museum komplimentiert hatten, haben wir noch ein nettes italienisches Restaurant gefunden, "Ristorante Capri" glaube ich. Satt und zufrieden sind wir dann nach Hause getuckert. Man war ich müde, aber es war auch ein wunderschöner Ausflug.
Und wie ihr euch sicher denken könnt, habe ich letztendlich doch über die Vernunft triumphiert und mir einige, wenige, ganz kleinkleine Einkäufe gegönnt, einen Kalender mit Klöppelbriefen, ein Buch mit Anleitungen für einfache bis ausgefallene Spinnen, Brazilian Chicken, d.i. ein ganz weiches kuscheliges Nylongarn, mit dem man z.B. Schals klöppeln kann und bunte Seide, meliertes Baumwollgarn und hübsches Effektgarn. Die schwarzen Klöppel sind aus Ebenholz vom Klöppelcenter Langendorf. Die hatten sie eine Zeit lang nicht mehr. Aber wenigstens habe ich mit diesen jetzt insgesamt fünf Paare davon.



Ach ja. Wie sagte der Besitzer des Kaufhauses Köck in Schönsee schon vor Jahren so schön: „Die Klöpplerinnen, die ich kenne, müssten alle 300 Jahre alt werden“ und packte meine Einkäufe an Garn und Klöppelbriefen in eine große Tüte (Umzugskarton!). Ich befürchte, bei der Schnelligkeit, mit der ich die Hölzchen schwinge, und all dem Garn, das ich habe, muss ich mindestens 553 Jahre alt werden, um alles zu verbrauchen.

miscellanea

1 Kommentar:

  1. Puh und ich fand häkeln immer schon so kompliziert, wenn ich das sehe, dann kann ich nur staunen und bewundern ...

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Ich freue mich über euere Kommentare. Danke, dass ihr euch die Zeit dafür nehmt :-)))

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