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Samstag, 30. Juli 2016

Tollwood

Wir waren auf dem Tollwood, wieder einmal zu dem für uns letztmöglichen Termin, am vergangenen Freitag. 
Wir sind wohl gerade aus dem Bus gestiegen, als im OEZ ein Amokläufer neun Menschen und dann sich selbst ermordete. Und auf dem Tollwood war alles noch so ruhig und friedlich an diesem frühen Abend.

"Plastikflaschen" am Eingang

Es gibt ja Leute, die behaupten, solche Ereignisse zu "spüren" oder die immer "wissen", wenn irgendwo "etwas nicht stimmt". Ich will den Wahrheitsgehalt solcher Aussagen nicht beurteilen, aber ich kann das jedenfalls nicht. Als der erste Hubschrauber kreiste, dachte ich noch an einen Verkehrsunfall. Erst als ich alle Leute mehr als sonst schon üblich mit ihren Handys hantieren sah, wurde auch mir klar, dass "etwas nicht stimmte".


Es tut mir leid, dass ich ihn nicht erstanden habe. Er
strahlt so eine Ruhe aus. Das könnte man zurzeit
gut brauchen.

Die Leute, die auf dem Veranstaltungsplatz unterwegs waren, reagierten durchwegs sehr gelassen. Was soll man auch tun, im Freien, weitab von jeglicher Unterschlupfmöglichkeit. Da gibt es keinen sicheren Platz mehr - Wenn jemand entschlossen ist, so viel Schaden wie möglich anzurichten, dann wird er immer einen Weg finden. Ist es keine Schusswaffe, dann eben ein Messer oder ein Auto. Aber es ist so traurig! 

Welche Spannung - Wehe Dir, o Maus!

Da in so einem Fall immer die öffentlichen Verkehrsmittel übervoll und Taxis kaum zu bekommen sind, beschlossen wir, noch etwas auf dem Tollwood zu bleiben. Dort war es so gut wie anderswo, mit den Tätern - jetzt weiß man ja, dass es nur einer war - auf der Flucht, wohin, das wusste niemand so genau.

Relaxen am "Sandstrand" mit Oktopus. Noch hatten
die traurigen Nachrichten sich nicht verbreitet 

Langsam tröpfelten die Besucher vom Gelände. Zwei Musiker gaben eine Vorstellung, während sie in einem Wasserbecken herumstaksten. Die Musik war gut, etwas traurig, wir saßen auf Balken an der Böschung und stärkten uns. Außer dem kreisenden Hubschrauber war auch noch kaum Polizei vor Ort. Allerdings und verständlicherweise auch kaum mehr Publikum.

Das Tollwood erschien mir dieses Jahr näher an seinen
ursprünglichen Idealen als in den Jahren zuvor:
Vögel gegen Massentierhaltung


Das Motiv dieses Wandbildes aus dem
Thairestaurant kennen die meisten
SiederInnen  in einer anderen Verwendung


Regen ist gut auszusitzen unter
solch bunten Schirmen

Regen lag in der Luft. Wir beschlossen ihn im Thairestaurant abzuwarten. Es ergab sich ein nettes Gespräch mit zwei Frauen, die noch auf eine Veranstaltung Richtung Odeonsplatz wollten. Dass mittlerweile sechs Tote bestätigt waren, schien so unwirklich. 

Freund Ganesha mit seiner Ratte
war auch wieder da. Er konnte
aber nicht viel ausrichten.

Natürlich dachte ich flüchtig daran, dass ein Zeltlokal ein geeigneter Ort sein könnte, um auf die Gäste und die vor dem Regen Schutz Suchenden zu schießen. Aber jeder andere offene Ort wäre dafür genauso geeignet gewesen. Und so blieben wir sitzen und unterhielten uns.

Tausendundeine leere Nacht


Was Väterchen Timofej wohl zu den Vorfällen sagen
würde?


Neue Nachrichten?


Wachsames Auge ...


 ... aus Blech und Schrott


Thunfisch aus Thunfischdosen. Ein gelungener Protest


Schließlich waren mehr Sicherheitskräfte auf dem Gelände als Besucher und wir verließen es Richtung U-Bahn, hoffend, dass wir eine Transportmöglichkeit in die Studentenstadt finden würden, wo wir unser Auto geparkt hatten. Der Gang durch den Park war so wie an jedem beliebigen Sommerabend, bis auf das eine oder andere Einsatzfahrzeug an strategischen Punkten. Da offensichtlich außer uns noch eine Menge anderer Leute auf dem Olympiagelände gestrandet waren, waren wir nicht allein in diese Richtung unterwegs.
Die Situation auf den Straßen und an der U-Bahn war recht gespenstisch. Polizeiabsperrungen, Autos mit Blaulicht fuhren in jede Richtung, der öffentliche Nahverkehr war natürlich unterbrochen. Wir richteten uns ein auf eine lange Nacht. Trotzdem winkte ich jedem vorbeifahrenden Taxi. Und tatsächlich hielt eines an und fuhr uns zur Studentenstadt. Dort lasen wir noch eine ältere Frau auf, die ganz alleine vor der verwaisten U-Bahnhaltestelle herumstand und per Handy nach einem Transportmittel suchte. Ihr Ziel lag auf unserer Strecke, also nahmen wir sie mit.

Der letzte Blauwal aus dem
Plastikmeer
 
Wir hatten Glück an diesem Abend. Niemand hat auf uns geschossen. Wir sind unbehelligt nach Hause gekommen. 
Ich will gar nicht darüber spekulieren, was im Kopf des Amokläufers vor sich gegangen ist, und auch nicht über die armen Opfer und was dieses Morden für die hinterbliebenen Angehörigen und Freunde bedeutet. Darüber ist in der letzten Woche viel zu viel geschrieben worden, auch von nicht kompetenten Leuten. 
Ich wollte euch bloß ein bisschen von diesem traurigen Abend erzählen, der wieder einmal bewiesen hat, dass - auch wenn Politiker etwas anderes versprechen - es keine absolute Sicherheit geben kann. Verbrechen, ob durch Bosheit, Hass oder Krankheit ausgelöst, wird immer wieder einen Weg finden, in unser Leben einzudringen. Da hilft es auch nichts, wenn wir aus Angst immer mehr von unseren bürgerlichen Freiheiten aufgeben, wie jetzt wieder  von der Politik gefordert wird. Wir werden lernen müssen, mit einem gewissen Restrisiko zu leben.

miscellanea


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